Engagement, politische Ziele und Koordinierungsarbeit – Gemeindepädagoge Gerhard Christ, Referent der Blindenseelsorge der EKHN

Können Sie die Braille-Schrift? Für viele Blinde ist das immer noch eine der wichtigsten Schriften, auch wenn mittlerweile die Computerprogramme so gut geworden sind, dass eine normale E-Mail oder eine Worddatei vorgelesen werden kann.

Der Gemeindepädagoge Gerhard Christ ist seit 2005 Referent der Sehbehinderten- und Blindenseelsorge der EKHN in Darmstadt. Er weiß, wie man am besten mit den sehbehinderten und blinden Mitgliedern kommuniziert. Sein Rundbrief mit einer Auflage von 700 Stück geht verschiedene Wege: er wird erstellt in „Schwarzschrift“, d.h. als Schwarzweiß-Druck mit großer Schriftgröße, als Hör-CD, als E-Mail und noch immer gibt es 120 Exemplare in Braille. Christs Finger gleiten ehrfürchtig über die Seiten der 32-bändigen Bibel in Braille. Als er Referent für diese Stelle wurde, hatte er sich vorgenommen, die Punktschrift zu erlernen, aber wirklich beherrscht er sie nicht. Doch das ist nicht so schlimm, denn sollte es hier Fragen geben, dann gibt es die vielen Ehrenamtlichen. Ehrenamtliche sind in der Arbeit mit Blinden gar nicht weg zu denken. Von den selbst Betroffenen, den Ehepartnerinnen und –partnern, über Freundinnen und Freunde, die Blinde begleiten, bis hin zu Interessierten(Ehrenamtlichen), die sich in ihrer Freizeit hier engagieren. Seine Arbeit umfasst deshalb immer sowohl die Sehbehinderten als auch die Arbeit mit sehenden Menschen. Zum Beispiel wenn die jährliche Sommerfreizeit ansteht. 10 Tage „Besinnung – Erholung – Bildung“ und das nicht etwa in einem der zahlreichen Blindenhotels: „Nein, dorthin könnten wir ja auch ohne die Blindenseelsorge fahren. Wir wollen wohin, wo wir sonst nicht hinfahren könnten“, melden die Sehbehinderten ihm zurück. Und dann organisiert Christ auch Städtetrips nach Salzburg und Amsterdam oder in andere europäische Städte. Christ organisiert gerne, bereitet gut vor, stößt Ideen an und gibt dann ab, beziehungsweise ermutigt die Sehbehinderten, sich eigenständig zu bewegen. Er sieht sich als „Ermöglicher“, dem die Fähigkeiten und Talente der anderen wichtig sind. Empowerment eben. So entstanden durch ihn die jährlichen Wohlfühltage im Odenwald. Dabei geht es im Herbst in ein Wellnesshotel mit Schwimmbad. Für einige Blinde ein besonderes Erlebnis sich in das fremde Element Wasser zu wagen, denn viele können nicht schwimmen.

Dabei war die Arbeit mit Menschen mit einer Sinneseinschränkung zunächst nicht im Blick. Christ kam aus der Jugendarbeit seiner Gemeinde, des CVJM und dem Engagement bei den Pfadfindern. Der damals 18-monatige Zivildienst führte ihn dann in die von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel (Bielefeld), wo er mit 130 Zivildienstleistenden in der Zivi-Teestube immer wieder Pläne schmiedete, wie sein Leben weiter verlaufen sollte. Ein guter Ort und viele Gleichaltrige, um Erfahrungen und Eindrücke zu reflektieren: Die Situation der Heimunterbringung mit großen Schlafsälen ist bedrückend, halte ich das aus, wenn ich ein Studium der Heilpädagogik wähle? Die Einzelzellen in der Psychiatrie, ist das ein Weg mit Perspektive? Die Auseinandersetzung mit der Theologie Helmut Gollwitzers und Dorothe Sölles warfen neue politische Fragen auf. Gehen oder in Bethel bleiben und Diakon werden, schließlich wurden Hausleitungen für die dortigen Heime gesucht?
Zunächst nutzte Christ die Möglichkeit, begleitend zum Zivildienst eine Krankenpflegeausbildung zu machen, denn damit kann man ein Studium gut finanzieren. Doch nach neun Monaten Arbeit als Krankenpfleger war klar: Es trieb ihn zum Studium der Gemeindepädagogik nach Darmstadt. Hier waren es vor allem die Studieninhalte, die ihn ansprachen. Das Ineinandergreifen von Sozialpädagogik und Gemeindepädagogik, die Reflektion der “Bedingungen der Möglichkeit” oder die Versuche einer Verschmelzung von “Theologie und Empirie” sprachen ihn an, das Innovative, Kritische und Provokante, das dem jungen Studiengang anhaftete. Er brachte beides zusammen, sein wissenschaftliches Interesse und der Austausch mit den Lehrbeauftragten aus der Praxis.
Sein Weg führte Christ dann für lange Zeit nach Heppenheim. Das dortige gemeindediakonische Konzept sprach ihn schon während seines Anerkennungsjahres an. So lief es auf eine Stelle hinaus, die drei verschiedene Säulen hatte: 25% Schulunterricht, 25% gemeindliche Jugendarbeit und 50% Arbeit in der Psychiatrie. „Das war eine gute Kombination, bei der alle drei Bereiche voneinander profitiert haben. Meine Schülerinnen und Schüler traf ich auch in der Jugendarbeit und die Jugendgruppe ging alle 14 Tage in die Station der Psychiatrie und engagierte sich dort. Einige machen das sogar noch bis heute als Erwachsene.“ Ein echtes Langzeitprojekt, das sich auch in der Berufsbiographie wiederfindet, denn Christ hing noch ein Studium in Psychosozialer Beratung mit Master an und schrieb eine Forschungsarbeit über das ehrenamtliche Engagement dieser Jugendgruppe.
„Wichtig ist, dass die Arbeit bei einer solchen Stellenaufteilung von allen getragen wird. Da muss auch der Kirchenvorstand dahinter stehen“, nennt Christ als Voraussetzung für das Gelingen seiner Arbeit. Auch die Familie muss dahinterstehen. Er lacht und weist schnell darauf hin, dass seine Fähigkeit zu organisieren, ihm auch geholfen hat, seine Zeit gut zu strukturieren. Noch lange könnte er von dieser Zeit erzählen, denn der gemeindediakonische Ansatz, das Ineinandergreifen von Spiritualität und diakonischen Handeln ist ihm wichtig. „Schade, dass es diesen gemeindediakonischen Ansatz kaum noch gibt“, findet Christ. Deshalb ist er den Schritt zur Blindenseelsorge vor gut 10 Jahren ganz bewusst gegangen. Es stand die Umstrukturierung des Gemeindepädagogischen Dienstes in der Region um Heppenheim an. Damals wäre auch eine Promotion denkbar gewesen, aber die Energie floss mehr hin zur neuen Tätigkeit der Blindenseelsorge. Hier fand er gute Arbeitsbedingungen: ein gut ausgestatteter Haushalt und eine weitere halbe Verwaltungsstelle, so dass genügend Zeit für die sieben Regionalgruppen, die Freizeiten und Fahrten, Seminare für Ehrenamtliche und auch das Engagement für die wichtigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen bleiben. Letztere sind zentral für ihm, damit sehbehinderte und blinde Menschen so selbstbestimmt wie möglich leben können. Dass Christ dabei im Team mit der Gehörlosen- und der Schwerhörigenseelsorge steht, zeigt sich nicht nur am Klingelschild und der besonderen Eingangstür.


Empowerment ist sein Konzept, die Menschen machen lassen und sie fördern. Rückblickend, galt das alle seine Stationen: Zivildienst in Bethel und Studium an der EHD, für seine Zeit in Heppenheim mit Schule, Jugendarbeit und Dienst in der Psychiatrie und es gilt auch noch heute als Referent der Sehbehinderten- und Blindenseelsorge. Doch dabei ist ihm ganz wichtig: „Das Engagement muss von den Betroffenen ausgehen. Ich unterstütze nur und gebe gerne wieder an sie ab.“
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