Sind alle Theologiestudierdnen gleich?
Wir treffen uns im Juni in Berlin. Es ist heiß, aber glücklicher weise gibt es nahe der Fakultät einen Park. Hierhin verirren sich nur wenige Touristen. Diese grüne Oase gehört den Studies, die picknicken, Musik hören und Frisbee spielen. Unser Gespräch findet im Anschluss an ein Konventstreffen statt.
Onno Hofmann
Onno Hofmann ist extra aus Hamburg angereist, da es dort zurzeit nur zwei Studierende aus der EKHN und deshalb keinen Konvent gibt. Für ihn ist solche Gremienarbeit sehr wichtig. „Ich finde es klasse, dadurch in Entscheidungsprozesse einbezogen zu sein und mitgestalten zu können.“ So hat er sich bereits in seinem ersten Semester für einen Posten im Studierendenrat wählen lassen. Er ist der Studierendenvertreter für die Ausbildungskonferenz. Dem Gremium, in dem der Kirchenpräsident, die Professor_innen des Theologischen Seminars und Verantwortlichen für Theologische Ausbildung Themen des Studiums und des Vikariats beraten. "Ich finde es wichtig, die flache Hierarchie der evangelischen Kirche zu nutzen und mit denen im Austausch zu stehen, die über Studiums- und auch später die Vikariatsbedingungen entscheiden."
Doch nicht nur die Mitarbeit an EKHN-Gremien interessiert ihn. Begeistert erzählt er von seinen ökumenischen Erfahrungen. Vor einigen Wochen, als sich aus der Hamburger Fachschaft niemand engagieren wollte, sprang er ein, als deren Vertreter an der ersten Ökumenischen Fachtagung in München für Theologiestudierende dreier Konfessionen. Diskussionen und Perspektivwechsel in die orthodoxe, römisch katholische und protestantische Position, Vorbehalte abbauen und doch theologische Verschiedenheit erleben. Seine Hoffnung ist, dass diese Tagungen weitergehen, denn dieser Austausch der verschiedenen theologischen Standpunkte scheint notwendiger denn je angesichts neuer religiöser Polarisierungen. Auch seinen einjährigen Aufenthalt in Südostasien zählt er zu den besonderen ökumenischen Erfahrungen. „Wie die Menschen dort ihren Glauben leben und über die Konfessionsgrenzen hinweg zusammenarbeiten war beeindruckend.“ Diese Themen, da ist er sich sicher, werden ihn durch das Studium begleiten. Was ihn danach erwartet und wie man hinterher im Pfarramt arbeitet, kennt er aus eigener Anschauung, denn seine Mutter ist Pfarrerin. Vielleicht geben ihm diese Kenntnisse den Freiraum in die Welt hinauszugehen, denn in seinem Kalender ist schon die nächste Asienreise eingetragen.
Marcus Bahnsen
Marcus Bahnsen und Thomas Reitz waren gemeinsam seit mehreren Semestern die Konventssprecher in Berlin. Diese Aufgabe wurde beim heutigen Konventstreffen weitergegeben, denn Marcus wird nach seiner Zwischenprüfung zum Wintersemester nach Mainz wechseln und Thomas steht kurz vor den Examensklausuren und hofft, im Frühjahr dann endlich Vikar zu sein.
Für Marcus Bahnsen ist sein Theologiestudium das zweite Studium. In seinem ersten „Leben“ studierte er in Heidelberg Dolmetschen. „Der Dolmetschmarkt für Nischensprachen ist äußerst schwierig. Festanstellungen gibt es in diesem Bereich sowieso kaum.“ Marcus hatte zwar nach dem Studium die Möglichkeit, als beruflicher Quereinsteiger viele Erfahrungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit sammeln können, jedoch sagte ihm das Berufsbild nicht ganz zu: „Sowie beim Dolmetschen, als auch bei der Pressearbeit schätze ich den Aspekt der Kommunikation, jedoch fehlte mir eine eigene substantielle Botschaft, die Menschen zum Nachdenken bewegt.“ Die positive Kehrseite war ein Prozess der Selbstreflektion. „Ich habe über meine Ziele im Leben nachgedacht: Mir geht es in erster Linie darum Menschen dabei zu helfen, zu sich selbst zu finden . Bei kirchlichen Berufen schien vieles zusammenzukommen, die Möglichkeit, kreativ zu wirken, mit Menschen zusammenzuarbeiten und die Botschaft.“
Zunächst interessierte er sich für Gemeindepädagogik. Bei dem Auswahlgespräch an der Evangelischen Hochschule in Berlin überzeugte er zwar die Kommission, in einem Nebensatz kam aber eine Einschätzung, die Marcus zu denken gab: „Sie haben ein so großes wissenschaftliches Interesse, da würde sich auch ein Theologiestudium anbieten.“ Das war ein guter Rat, denn theologische Themen durchdenken, die Linien zu ziehen zwischen der Alten Kirche, den Fragen Augustins, der Reformation und heute, das begeistert ihn. Zurückgreifen auf das, was schon gedacht wurde und es mit dem Aktuellen verbinden, das treibt ihn an. Sein Theologiestudium wird länger dauern, denn es gibt da seinen kleinen Sohn, für den er ein Semester Elternzeit nahm. „Das war ein Semester pures Glück!“ strahlt Marcus, der die Zeit mit seinem Kind genossen hat. Außerdem muss er das Zweitstudium selbst finanzieren. Zum Glück kann er parallel als Dolmetscher arbeiten. „Es ist toll, dass jetzt unser potentieller Arbeitgeber, die EKHN, wirklich ein Interesse an uns hat, und mit der neuen Studienbegleitung auch fördert.“
Thomas Reitz
Thomas Reitz hatte eigentlich ein Kirchenmusikstudium geplant. Als er sich gerade auf die Aufnahmeprüfung vorbereitete, besuchte er die „Abitagung“ (Informationstagung für Oberstufenschüler_innen) der EKHN in Kronberg. Hier wurde klar, auch er hat ein wissenschaftliches Interesse an theologischen Fragen, das bei Kirchenmusik nicht befriedigt werden kann. Außerdem schien damals die Perspektive einmal als Kirchenmusiker eingestellt zu werden wenig aussichtsreich. Also das Studium der evangelischen Theologie. Heute weiß er: Es war der richtige Weg. Andachten halten und von einer Kanzel predigen ist sein Ding. Das bestätigen ihm sogar atheistische Freunde, die erlebten, wie er bei einer Urlaubsreise eine Andacht hielt oder er in seiner Heimatgemeinde eine Kindersegnung ausführen durfte. Die Kraft, die in den alten Worten und in den Ritualen steckt weiterzugeben, das spornt ihn an. Er erinnert sich an den Studienbeginn, an seinen Wunsch, den Menschen zu helfen. Am liebsten so wie Superman, immer da sein, wenn man gebraucht wird und am Ende ist alles im Lot. Er lächelt. Nicht nur sein Studium, ein Auslandsaufenthalt in Porto Alegre, Brasilien, und auch die intensive Examensvorbereitung haben dieses Wunschbild verändert. „Superman ist die falsche Rolle, totale Überforderung. Es geht mehr darum, die eigene Rolle zu finden und darin authentisch zu sein.“
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Plötzlich schwärmen alle drei von Seminaren über Rituale und liturgisches Auftreten, die sie bei unterschiedlichen Nicht-Theolog_innen absolviert haben. „Da haben wir viel gelernt.“ Alle drei nicken. Traditionen nicht einfach so übernehmen, sondern Traditionen und Rituale für sich selbst füllen. Keine Worthülsen aneinanderreihen, sondern für das stehen, was man sagt. Sich den großen Kirchenraum aneignen. „Wo stehe ich, wenn ich was sage?“, das haben ihnen ganz besonders Nicht-Theolog_innen beigebracht. Die haben manchmal einen klareren Blick darauf.
Schnell geht es weiter im Gespräch. Sie tauschen sich aus, ob es Vorbilder in der Gemeinde, in der Familie gab, oder doch eher Anti-Vorbilder, die sie dazu bewegten, es mal besser zu machen. Wie ein Leben im Pfarrhaus aussieht? Da kann Onno Hofmann als Sohn einer Pfarrerin beruhigen: „So schlimm, wie viele es sich vorstellen, ist das nicht. Ich sehe in der Vermischung von Berufs- und Privatleben eine Chance, da ich nicht zwischen Arbeit und Leben trennen möchte. Kein `Arbeiten, um zu Leben´ noch ein `Leben, um zu Arbeiten´!“
Welche theologischen Entscheidungen in der alten Kirche noch auf unser heutiges Leben Einfluss haben? „Was damals gedacht und ausgehandelt wurde, ist nicht einfach weg, sondern geht irgendwie weiter. Ein schöner Gedanke: Wenn jemand stirbt, ist sein Wirken nicht verloren, sondern es bleibt in irgendeiner Form im großen Geflecht der menschlichen Beziehungen verwoben“, ist Marcus Bahnsen überzeugt.
Welche theologischen Auseinandersetzungen Sie geprägt haben. Schleiermacher? Neuere Exegese des Alten Testaments? Welche Systematischen Entwürfe überzeugend waren oder ob Bibelkunde spannend ist? „Die Examensvorbereitung war toll, denn da liefen alle Fäden zusammen und die möchte ich jetzt ins Vikariat einbringen“, sagt Thomas Reitz. Er wohnt nicht weit von der Berliner Fakultät, direkt im Touristenbrennpunkt und er ist von deren Lautstärke und Rücksichtslosigkeit mittlerweile ganz schön genervt. Vielleicht auch eine Motivation das Studentenleben mit dem Vikariat zu tauschen. „Nein, eine solche Motivation brauche ich nicht. Ich habe mein Studium genossen und mir für Theologie Zeit gelassen, jetzt brauche ich die Praxis.“
Ob Onno Hofmann im Anschluss an Hamburg nach Berlin wechseln soll? Da geben die beiden Berliner wichtige Tipps. Besonders empfehlen sie Seminare bei Prof. Torsten Meireis, der seit neuestem in Berlin lehrt. Sein Konzept und seine Bemühungen verständlich zu lehren, kommen bei den Studierenden gut an. Klar denke ich, der ist ja auch Pfarrer der EKHN und freue mich.
An diesem Abend sind die drei sich oftmals nicht einig, Onno im Grundstudium, Marcus in der Studienmitte, und Thomas der Examenskandidat. Jeder hat eigene Zugänge, eigene Fragen und theologische Interessen. Aber darüber, „dass die EKHN versucht, für unsere Unterschiedlichkeit immer eine Lösung zu finden“, darüber sind sich alle drei einig.
[1] Bei einem Konventstreffen kommen am Universitätsstandort alle Studierenden, die auf der Liste der EKHN eingetragen sind oder Interesse an der Listenaufnahme haben, zusammen. Bei diesen Treffen werden studienrelevante Informationen der Kirchenverwaltung weitergegeben. Manchmal ist auch eine Teilnahme der Ausbildungsreferentin oder von mir möglich.
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