„Eine Predigt muss immer die Menschen berühren“
Das Pfarrerehepaar Ruth und Markus Sauerwein spricht über ihr Leben in einer kleinen Westerwaldgemeinde
Ein Pfarrhaus ist in vielen Kirchengemeinden traditionell mehr als nur ein Gebäude, an dessen Klingelschild der Name der Pfarrerin oder des Pfarrers steht und in dem sie oder er sich zuhause fühlen. Diese Immobilie erhält als verlängerter Arm des Gemeindeshauses in vielen Fällen einen öffentlichen Charakter. Meist befinden sich im Pfarrhaus Büro- und Besprechungsräume, vielleicht eine Bibliothek, ein Archiv oder ein kleiner Versammlungssaal. Doch wie öffentlich muss ein Pfarrhaus eigentlich sein? Wo ist die Linie zwischen Gemeinde- und Privatleben des Pfarrers? Gibt es das überhaupt oder ist der Pfarrer als Ansprechpartner für die Menschen immer im Dienst? Diese Fragen haben Ruth und Markus Sauerwein beschäftigt, als sie 2011 in die Kirchengemeinde Emmerichenhain im Westerwald kamen. Beide haben sich im Theologiestudium im Mainz kennengelernt und geheiratet. Er trat die Pfarrstelle in Emmerichenhain an, sie befindet sich nach ihrer Dissertation noch im Vikariat in einer Nachbargemeinde im Westerwald.
„Das Foyer im Pfarrhaus war riesig, alles war offen und im Winter hat es gezogen wie Hechtsuppe, auch nach oben in unsere Wohnung, wo es noch einen Archivraum gab“, sagt Markus Sauerwein. Noch bevor der junge Pfarrer mit seiner Frau in das 600-Einwohner-Dorf Emmerichenhain kam, fiel den Sauerweins das Pfarrhaus auf. Sicherlich waren die Anordnung und Nutzungsmöglichkeiten der Räume in dieser außergewöhnlichen Immobilie nicht das wichtigste Thema für jemanden, der in verantwortlicher Position seine erste Stelle in einer Gemeinde antritt. „Wir haben natürlich keine Bedingungen oder Forderungen gestellt, doch uns war klar, wenn wir uns hier wohlfühlen sollen, muss sich im Pfarrhaus baulich etwas verändern“, sagt Markus Sauerwein.
Schließlich wurde das Pfarrhaus so umgebaut, dass Familie Sauerwein mit ihrer kleinen Tochter im ersten Stock ihr Zuhause haben und ausschließlich im Parterre der öffentliche Bereich liegt. „Ein Gästezimmer von uns befindet sich noch im Erdgeschoss, aber das ist in Ordnung so“, ergänzt Ruth Sauerwein. Die Gemeinde hat verstanden, warum die junge Pfarrerfamilie am Haus etwas verändern möchte. Mehr noch: Einige Mitglieder haben sogar mitangepackt, im Garten jedenfalls. Der war stark verwuchert. Erst durch viele Hände Arbeit ist daraus wieder ein schönes Fleckchen Erde im Grünen geworden, wo die Sauerweins sich gern aufhalten.
Auch darum geht es bei der Arbeit. Der Wohlfühlfaktor ist wichtig. Nicht alles ist Zuckerschlecken, doch der Beruf soll ja auch Freude bringen, Neugier wecken und Innovationen erlauben selbst in einer kleinen Gemeinde im Westerwald mit einer überalterten Bevölkerungsstruktur, wo nicht viele Pfarrer in der Ausbildung nach ihrem Vikariat gern freiwillig die erste Stelle übernehmen. Jede Gemeinde sieht anders aus. Manche Pfarrer grenzen sich bewusst etwas ab, andere entscheiden sich für ein offenes Pfarrhaus und sehen sich immer im Dienst. Jeder muss den richtigen Weg für sich finden.
„Wir sind in Emmerichenhain gut aufgenommen worden und uns gefällt es hier“, sagen Ruth und Markus Sauerwein unisono. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde der Vergleich hinken, doch seinen knapp einjährigen Aufenthalt in dem kleinen Städtchen Honeoye im Bundesstaat New York, weit, weit weg von Big Apple, bezeichnet der Pfarrer als eine Art Trainingslager für Emmerichenhain, sagt es und schmunzelt.
Markus Sauerwein erinnert sich an seinen Mentor und sein Vorbild, Pfarrer Hans-Joachim Greifenstein, sozusagen die Hälfte des Babenhäuser Pfarrerkabaretts. Der habe ihm einmal gesagt, er sei ein guter Zuhörer und er traue ihm den Pfarrberuf zu. Außerdem gab Pfarrer Greifenstein seinem „Schützling“ etwas mit auf den Weg, das Markus Sauerwein nie vergessen hat: Ein Pfarrer müsse sich nur für zwei Dinge interessieren: für Gott und die Menschen. „Wie Recht er hat.“
Der Weg zum Pfarrerberuf war für Markus Sauerwein (36) nicht weit, schließlich engagierte er sich bereits als Mitarbeiter des Kindergottesdienstes und später als Zivildienstleister in einer Kirchengemeinde. Er interessierte sich für biblische Archäologie und für die alten Sprachen. Doch weil diese in der Schule nicht auf dem Stundenplan standen und er damit erst an der Uni beginnen sollte, überlegte er einen Moment, bevor er sich doch für das Theologiestudium entschied. Am meisten Freude bereitet ihm das Predigen. In Rennerod-Emmerichenhain hat er neue Gottesdienste an Ostern und Pfingsten sowie Passionsandachten ins Leben gerufen. Außerdem gibt es zu besonderen Anlässen nun vermehrt Gottesdienste in den einzelnen Ortschaften des Kirchspiels wie etwa beim Feuerwehrfest. „Eine Predigt muss immer etwas mit den Menschen zu tun haben, sie berühren.“
So weit ist seine Frau in der Karriere noch nicht. Den Alltag im Pfarrerberuf kennt die 33-Jährige dennoch besser als viele Kolleginnen und Kollegen in dem Alter. Sie kommt aus der „Pfarrerdynastie“ der Familie Scheerer. Vater, Großvater, Ur-Opa und viele weitere Vorfahren hatten sich für den Kanzel- und Kirchenberuf entschieden. Also ist es nur logisch und konsequent, dass das Einzelkind Ruth ebenfalls Pfarrerin wird? „Nein, das war überhaupt nicht so.“ Die Theologie ihres Vaters sei nicht immer ihre gewesen, deshalb habe sie vor der Entscheidung zum Theologiestudium gezögert. Aber irgendwann tauchte die Frage auf, was willst Du wirklich? „Eigene Antworten finden auf philosophisch-theologische Fragen“, sagte sich damals Ruth Scheerer und schlug den Weg ein, auf dem sie erstmals in der Familie den Pfarrberuf als Frau ausübt. „Vielleicht wollte ich mich mit meiner eigenen Herangehensweise auch von meinem Vater abgrenzen?“, sagt Ruth Sauerwein, die sich in ihrer Doktorarbeit mit einem der wichtigsten vorklassischen Propheten beschäftigt hat und unter anderem beschreibt, welche Wirkung und Bedeutung die Wunder von Elischa beispielsweise für das Neue Testament hatten.
Wenn sich ein Ehepaar für den Pfarrberuf entschieden hat, bestimmen kirchliche Themen sicherlich auch die privaten Gespräche? „Naja“, sagt Ruth Sauerwein, „natürlich sprechen wir oft über den Alltag in unseren Gemeinden, aber das stört uns nicht, denn alle Themen des Lebens tauchen ja auch in unserem Beruf auf“. Wir diskutieren vieles und sind immer lösungsorientiert. „Über kirchliche Themen würden wir nie in Streit geraten“, meint sie. Markus Sauerwein sagt, dass er „total froh“ sei, mit einem vertrauten Menschen so gut über die Arbeit sprechen zu können. Seine Frau argumentiere äußerst fachlich und sei sehr kompetent. Sie schaut ihn an und sagt nickend zu ihm: „Dito, das kann ich auch von Dir sagen.“
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