Das Berufsportal der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

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    Gemeindearbeit zwischen Windrädern und Weinreben

    Pfarrer Christoph Kiworr kam aus London in die kleine rheinhessische Gemeinde Fürfeld

    Kontrastreicher hätte der Wechsel des Arbeitsplatzes kaum sein können. Statt der pulsierenden multi-kulti Urbanität zwischen Big Ben und Tower Bridge erlebt Pfarrer Christoph Kiworr jetzt den Alltag in einer Kirchengemeinde auf dem flachen Land, das sich zwischen Bad Kreuznach und Alzey recht bergig gibt. Sein Arbeitsplatz befindet sich in einem Dorf mit engen Straßen, schmucken Gärten und gepflegten Häusern, vor denen samstags gekehrt wird. Das Fleckchen Erde liegt in Rheinhessen, wo auf sanft ansteigenden Hügeln mit langen Reihen von Weinreben mächtige Windräder wie Spargelstangen aus den riesigen Feldern ragen und die Kirchturmspitzen der umliegenden Dörfer in den Schatten stellen. Die berufliche Reise führte den 36-Jährigen Pfarrer von London nach Fürfeld, von der Weltmetropole in ein Dorf.

    Fürfeld? Dort fühlen sich rund 1600 Menschen zu Hause. Zusammen mit den Nachbarorten Neu-Bamberg und Tiefenthal, für die der Pfarrer ebenfalls zuständig ist, zählen die drei Kirchengemeinden knapp 1300 Mitglieder. Bald werden es noch rund 700 Christen mehr sein, für die Christoph Kiworr Ansprechpartner ist. Nicht wegen einer Welle von Kirchenbeitritten, sondern wegen einer Zusammenlegung: Der Ort Frei-Laubersheim macht aus dem bisherigen Gemeinde-Trio ein Quartett. 

    „Ich liebe meinen Beruf.“ Dieses klare Bekenntnis spricht einer aus, der sich nach dem Abitur viel intensiver als andere mit der Frage beschäftigt hat, welchen Weg er gehen soll und ob Theologiestudium und Pfarrerberuf für ihn wirklich das Richtige ist oder er nur eine Tradition fortsetzt, wenn er zu dieser Lösung Ja sagt. Warum die Zweifel? Der Grund für die schwierige Abwägung und das In-sich-Hineinhorchen hängt mit dem familiären Hintergrund zusammen. Die Familie hat sich seit Generationen für den Pfarrberuf entschieden. Christoph Kiworrs Vater war Pfarrer in Mainz, seine Mutter dort Pfarrerin in einer Klinik und seine Schwester ist, wie sollte es anders sein, ebenfalls Pfarrerin. „Aber soll ich diesen tollen Beruf nicht wählen, nur weil meine Familie ihn seit Generation ausübt und jetzt mal einer etwas anderes machen muss?“ Christoph Kiworrs Entscheidung pro Kirche war geprägt von vernünftigen und logischen Argumenten für diesen vielseitigen und abwechslungsreichen Beruf, aber vor allem von starken Emotionen, die ihn seit seiner Kindheit und Jugend nie mehr losgelassen haben. „Es ist die Gemeinde, dieser Ort des Zusammenseins, dieses großartige Miteinander. Wo erleben wir sonst noch so etwas?“

    Das Leben in der Pfarrerfamilie hat Christoph Kiworr stark geprägt. „Ich habe mich in der Gemeinde immer wohlgefühlt.“ Er nennt positive Werte wie Geborgenheit und Aufgehobensein, spricht aber auch von einer heterogenen Gruppe, in der diskutiert und ein Konsens gefunden werden müsse. „Das Miteinander ist einfach großartig“, daran erinnere er sich, wenn er an die Gemeinde seines Vaters in Mainz denke und das erlebe er auch heute in Rheinhessen.

    Fürfeld? Das sind liebenswerte Menschen, die „den neuen Pfarrer aus London“ am 1.1.2011 in der Gemeinde mit offenen Armen empfangen haben. Wer bekommt schon ein Feuerwerk zum Amtsantritt? Damit die Dorfbewohner nicht am ersten Tag schon denken, der Pfarrer sei ein Langschläfer, „habe ich nach der Silvesternacht ganz früh morgens erst mal die Rollläden hoch gemacht und mich dann wieder ins Bett gelegt“, sagt Christoph Kiworr und muss lachen. Daran, dass er „als Pfarrer auf dem Dorf“ ständig beobachtet wird, habe er sich mittlerweile gewöhnt. Klar, dass die Gemeinde auch beim Karneval oder beim Feuerwehrfest den Pfarrer im Blickwinkel hat. Dort ist er auch mittendrin, mal kostümiert, mal an der Theke.

    „Dass die Menschen nach dem Pfarrer schauen, ist kein Problem“, sagt Christoph Kiworr. Zunächst wollten die Gemeindeglieder natürlich erst einmal herausfinden, wer denn der neue Pfarrer ist. Aber dann haben sie sich schnell geöffnet. Dazu fällt ihm ein passendes Bild ein, als er im sogenannten Pfarrsälchen mit den knarrenden Holzdielen sitzend aus dem Fenster in die Rathausstraße vor dem Pfarrhaus schaut. Rechts und links der Gasse liegen aneinandergereiht Häuser, die wie ein Block oder eine Mauer wirken. „Doch wenn man die Holztore zu den Höfen und Gärten öffnet, kommen wahre Schmuckstücke zum Vorschein. So sind auch die Menschen in Rheinhessen anfangs vielleicht etwas zurückhaltend dem Fremden gegenüber, doch dann, nach dem Kennenlernen und bei Sympathie vertrauensvoll, sozial, offen eben“, so seine Erfahrung.

    Der „Pfarrer aus London“ ist in seinen drei Kirchengemeinden längst etabliert und hat Freunde gefunden. Wenn er am Samstagmorgen mal kurz zum Bäcker um die Ecke gehen will, um zum Frühstück frische Brötchen zu holen, müssen seine Frau und die kleine Tochter zu Hause länger warten als gedacht, denn der Pfarrer wird von vielen Leuten angesprochen. Manche nennen das Small-Talk, in Fürfeld wird herzlich gebabbelt.

    Die Gemeindeglieder sind hilfsbereit und sie engagieren sich. Aber auch die Ansprüche in einer Kirchengemeinde steigen ständig. Am Ende bleibt dann doch vieles am Pfarrer hängen und er muss sich auch um viele Kleinigkeiten kümmern. Manche Menschen hätten immer noch den Eindruck, ein Pfarrer arbeite nur am Sonntag. „Sie sehen meist nicht, dass oft noch spät in der Nacht im Pfarrbüro das Licht brennt“, so die Erfahrung von Christoph Kiworr.

    Einerseits liebt er die Vielfalt in seinem Beruf und die Heterogenität seiner Gemeinde, andererseits möchte er aber nicht rund um die Uhr für alles zuständig sein und so viele Berufe wie Psychologe, Sozialarbeiter, Handwerker, Büro-Kaufmann, IT-Spezialist, Manager, Bau-Ingenieur, Erzieher oder Lehrer gleichzeitig verkörpern. Der Pfarrer hätte manchmal gern mehr Zeit und Kraft für seine eigentlichen Aufgaben als Seelsorger, als Theologe, für seine eigene Spiritualität und für die Fortbildung. Besonders für den Verwaltungsbereich wünscht sich der Pfarrer mehr Entlastung. „Ich würde auch gern verstärkt im Team arbeiten“, so Christoph Kiworr.

    Diese Wünsche werden überlagert von der Freude und Energie, die während der Arbeit mit den Menschen in der Gemeinde entsteht. Christoph Kiworr bezeichnet es als eine große und spannende Aufgabe, herauszufinden, welche Erwartungen die Gemeinde hat und für was sie sich interessiert. Ihn beschäftigen Fragen wie: Welchen Raum können Themen wie Alkoholmissbrauch oder Ehebruch in der Predigt einnehmen? Wie wird ein klassisches Orgelkonzert angenommen? In welchem Rahmen kann man die jüdische Vergangenheit des Ortes aufarbeiten? Wo ist die diakonische Arbeit notwendig? Immer mal etwas Neues ausprobieren, heißt die Devise. Ein Gospelworkshop steht in Fürfeld als nächstes an.

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